Im Projekt „Schulische Bildung“ der Bertelsmann Stiftung erschien Ende Januar 2024 die Studie „Der Lehrkräftemangel an Grundschulen ist bald überwunden“. Darin wird eine Trendwende in der Lehrerversorgung an Grundschulen prognostiziert. Maßgeblich als Resultat rückläufiger Geburtenzahlen. Viele Kommentatoren und Berichte sprachen schnell von einer bevorstehenden Lehrerschwemme. Aber ist das so?

Fragen!

Die Verfasser der Studie sind in einer „Q & A zur Studie: Weniger Geburten, mehr Lehrkräfte: Spielraum für die Grundschulentwicklung“ nun auf einige diskutierte Fragen eingegangen. Darunter,

  • ob die Geburtenentwicklung und Zuwanderung nur nach den bisherigen („alten“) Vorhersagen berücksichtigt wurde?
  • ob die Studie nicht zu einer Verknappung von zukünftigen Studienplätzen bei den Lehrämtern führt?
  • ob der zukünftige Personalschlüssel weiterhin ausreichend eingeschätzt wird?

Es ist richtig, dass auf solche Fragen eingegangen wird, denn je nach Betrachtungsweise und individueller Hochrechnung kann eine Statistik und dessen Interpretation verschiedene starke Unschärfen aufweisen.

Die Tücken

Die Tücken solcher globalen oder bundesweiten Studien liegen im Detail, auch wenn solche Studien das „Detail“ gar nicht abbilden wollen (und können). Dennoch lohnt es sich, einmal ins Detail zu gehen. Einmal weg von der bundesweiten Sicht, auch keine Sicht auf ein Bundesland, kein Landkreis, sondern eine einzelne Grundschule. Allein hier liegt die Vielfalt schon zwischen der Stadtteilschule einer Großstadt, der Grundschule einer Gemeinde und der kleinen Dorfschule. Von Brennpunktgrundschule bis hin zur „ruhigen“ Dorfgrundschule (mir fiel einfach kein gutes und treffendes Adjektiv ein, sie wissen, was ich meine).

Also betrachten wir einfach meine Grundschule, so ziemlich durchschnittlich in Bezug auf die obigen Attribute.

Ein Beispiel

Meine Schule:

  • in Niedersachsen
  • in einem Landkreis
  • ein einer Gemeinde
  • 1 von 3 Grundschulen
  • 16 Lehrkräfte inkl. Förderschullehrer + Referendarinnen
  • 3 bis 4 Züge
  • zum Sommer (auch wieder) ca. 80 Erstklässler

Die „sichere Basis“

Das niedersächsische Kultusministerium hat im Änderungserlass „Die Arbeit an der Grundschule“ mit dem kommenden Schuljahr 2024/25 und aufsteigend bis zum Schuljahr 2026/27 die „Sichere Basis“ als eine Art Unterrichtfach eingeführt. Spätestens ab Schuljahr 2026/27 haben die Kinder in ihren ersten beiden Schuljahren dann insgesamt 3 Unterrichtsstunden mehr.

Bedeutet bei mir:
Bei den aktuellen Zahlen und dann einer mutmaßlichen 4-Zügigkeit in den Jahrgängen 1 und 2 (d. h. 8 Klassen) benötige ich 24 Lehrkraftstunden (acht Klassen x 3 Stunden) oder fast eine VollzeitlehrerInnenstelle mehr. Die Berechnung erfolgt hier aus Basis der Anzahl der Klassen.

Der Ganztag

Im selben Schuljahr starten wir mit dem Ganztagsbetrieb. Allerdings nicht aufsteigend, sondern für alle Jahrgänge gleichermaßen. Der dafür benötigte Mehrbedarf liegt bei 75 Lehrkraftstunden, wobei nach jetziger Erlasslage davon nur 34 Stunden tatsächliche Lehrkraftstunden sind.

Die Rechnung:
Verpflichtendes Angebot an 5 Tagen mit je 150 Kindern ergibt mit dem Zuwendungsschlüssel 75 Lehrkraftstunden im Zusatzbedarf, was 3 VZLE entspräche. Davon werden aber (derzeit) nur 75 % = 56 Lehrerstunden zugewiesen, was 2 VZLE entspräche. Unter Einbeziehung der 60% : 40% – Regel wären dies schlussendlich 34 Lehrkraftstunden. Die Berechnung erfolgt hier auf Basis der Schülerzahlen im Ganztag.

(Hier nutze ich die GTS-Quote aus der Studie von rund 50% sowie die derzeitigen erlasslichen Regelungen.)

Das Ergebnis

Rechnen wir die Einzelergebnisse zusammen:

24 Lehrkraftstunden (Stundenerhöhung durch „Sichere Basis“) plus 35 Lehrkraftstunden (Beginn Ganztag) ergeben 59 Lehrkräftestunden, also 2 VZLE ab Schuljahr 2026/27. Das wäre eine Erhöhung des Stundensolls um 15 % oder eine Erhöhung der VZLE um 12 % (ohne eine mögliche / gewünschte Teilzeitbeschäftigung dieser neuen Lehrkräfte).

Einklang zur Studie

Ich versuche nun die aufgestellte Rechnung mit der Studie in Einklang zu bringen:

In Tabelle 4 auf Seite 8 der Bertelsmann Studie wird die Lehrkräftebedarfsentwicklung wie folgt dargestellt. Bis zum Schuljahr 2025/26 steigt der Bedarf noch leicht an und sinkt dann mit Beginn des Schuljahres 2026/27 von 213.077 Lehrkräften (im Vorjahr) auf 180.577 Lehrkräften im Schuljahr 2035/36. Dies wäre ein Rückgang um fast 18 % innerhalb von 10 Jahren.

Aus dem Blickwinkel der individuellen Sicht meiner Schule würde sich das mit dem oben dargestellten Mehrbedarf gut ausgleichen. Passt also, keine Schwemme, keine Lehrkraft zu viel im Kollegium.

Was ist, wenn die Anzahl der Einschulungskinder dennoch oder auch bei uns sinkt?
Wird ein neuer Jahrgang nur 3-zügig, so reduziert sich die Sollstundenzahl bei einer Klasse weniger lediglich um 3 Lehrkräftestunden. Der Bedarf im Ganztag wird durch Schülerzahlen ermittelt. Bei einer Klasse wären das lediglich (maximal) 26 Kinder. Wovon in der Rechnung auch nur die Hälfte (13 Kinder) im Ganztag wären. Damit ergäbe sich eine Reduzierung des Zusatzbedarfes Ganztag um ca. 5 Lehrkraftstunden (13 Kinder mal Faktor 0,5 bei 5 Tagen ergibt 6,5 Lehrkraftstunden, davon 75 % aber nur 5 Stunden). Insgesamt also 8 Lehrkraftstunden. Im Ergebnis wäre der Mehrbedarf aus der jetzigen Sicht bei nur noch 51 Lehrkräftestunden. Eine Reduzierung des Mehrbedarfes um lediglich 14 %.

Was wäre bei einer vollständigen 3-Zügigkeit?
Bei einer durchgehenden 3-Zügigkeit läge der Mehrbedarf durch die „Sichere Basis“ bei 18 Lehrkräftesollstunden. Der Teiler für eine 4-Zügigkeit liegt derzeit bei 78 Kindern. Da wir zwar signifikant über dem Teiler sind, jedoch zum nächsten Teiler (104 Kinder) noch deutlich Luft ist, würde ein Rückgang der Schülerzahlen bei der Einschulung um 4–5 Kindern die 3-Zügigkeit bedeuten. Allerdings mit großen Klassen. Diese fünf Kinder weniger würden den Zusatzbedarf Ganztag kaum reduzieren. Der läge dann bei 33 Lehrkräftesollstunden. In der Summe kämen wir auf 51 Lehrkräftestunden und ebenfalls 2 VZLE.

Im Klartext:
Plakativ betrachtet bin ich mit 78 Kindern an der Grenze der 3-Zügigkeit – aber eben 3-zügig. Mit 53 Kindern bin ich aber immer noch in der 3-Zügigkeit, sodass ich einen Rückgang von 25 Kindern oder um 32 % der Einschulungskinder auffangen kann. Und zwar ohne, dass sich etwas an meinem Stundensoll / Lehrkräftebedarf ändern würde!

10 Jahre im Vergleich

Auf den Seiten 6 und 7 der Bertelsmann Studie werden die verschiedenen Hochrechnungen zu den Geburtenzahlen sowie der Gesamtzahl der voraussichtlichen Kinder in der Grundschule dargestellt. Letztlich wird der Geburtenrückgang aus dem Jahre 2023 von 6,7 % (2023 lag die Geburtenrate bei 93,3 % gegenüber dem Jahre 2022) auch für Hochrechnung der Folgejahre verwendet.

Die Berechnungen in Tabelle 1 stellen, ausgehend vom Höchststand im Schuljahr 2027/28 mit 3.303.000 Schülern, eine Reduzierung der Schülerzahlen um zunächst ca. 1,47 % im Schuljahr 2028/29 dar. Im Folgejahr 2029/30 eine Reduzierung um 5,2 % im Vergleich zum Höchststand und um 3,76 % im Vergleich zum Vorjahr. Dies setzt sich fort bis zu einer maximalen Reduzierung der Schülerzahlen um 17,25 % im Schuljahr 2035/36 gegenüber dem Höchststand im Schuljahr 2027/28. Die Reduzierung vom Schuljahr 2034/35 zum besagten Schuljahr 235/36 beträgt dabei nur noch 0,6 %. Die jährlichen Reduzierungen der Jahre 2027 bis 2035 enden somit in einer Gesamtreduzierung um 17,25 %.

Fazit

Ich denke, dass es enorme regionale Unterschiede in der Verfügbarkeit von Lehrkräften geben wird. Wer jetzt schon Ganztagsschule ist und jetzt bereits ein Stundenüberschuss vor sich herschiebt, wird definitiv kein Bedarfspolster in der Zukunft haben.

Überdies kann erst von einer „Schwemme“ gesprochen werden, wenn die zukünftigen Lehrkräfte auch eingestellt worden sind und in die Statistik eingehen. Nur die Tatsache, dass diese Personen eingestellt werden könnten, macht daraus noch keine Schwemme!

Meine Meinung:

Wenn es in Zukunft tatsächlich genügend Lehrkräfte für die Grundschulen geben könnte, so wäre es im Sinne der Qualitätsentwicklung an Schulen sehr dienlich, diese auch zielgerichtet einzustellen. Die Herausforderungen wachsen von Jahr zu Jahr und jede Lehrkraftstunde zusätzlich entlastet und hat einen direkt positiven Effekt auf die Schulentwicklung. Darunter fallen z. B. DaZ-Stunden, Unterstützungsbedarfe, die sonderpädagogische Grundversorgung, verstetigte Förderstunden, Verfügungsstunden an der Grundschule, unterstützende Doppelbesetzungen und so vieles mehr, was oft nicht umgesetzt werden kann.

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Björn Bauch

Über mich:

Ich bin seit 23 Jahren im niedersächsischen Schuldienst tätig, 13 Jahre davon als Leiter einer 3-zügigen Grundschule. Mein Anliegen ist das Helfen bei schulischen Fragen, das Herstellen von Transparenz sowie – das möglicherweise – Richtigstellen von falschen Annahmen in Bezug auf die Rechtslage.

Schon vor vielen Jahren habe ich diese Webseite sukzessive erstellt, um die immer wieder auftretenden Fragen bei Eltern beantworten zu können.

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