Die Zahl der Abmeldungen vom Religionsunterricht in Niedersachsen nimmt von Jahr zu Jahr zu. Etwa 9 % der Kinder an der Grundschule nehmen nicht am Religionsunterricht teil (Quelle: MK Niedersachsen, Stand: Schuljahr 2016/17). Auch ohne eine doch größere Anzahl von Kindern mit nicht christlicher Glaubenszugehörigkeit geht der Trend und der Wunsch zur Abmeldung vom Religionsunterricht. Wirkliche Alternativen gibt es derzeit an den Grundschulen nicht.

Die rechtliche Lage

Der Religionsunterricht ist ein ordentliches Schulfach, das heißt, es ist in der Stundentafel verbindlich verankert. Dieser „Schulpflicht“ steht das Recht auf aktive und passive Religionsfreiheit gegenüber. Konkret bedeutet das für die Grundschule (nicht betrachtet ist der islamische Religionsunterricht, der für die Grundschule ebenfalls erprobt wird):

Kinder, die der evangelischen oder katholischen Religionsgemeinschaft angehören, müssen am Religionsunterricht teilnehmen. Eine Ausnahme bildet hier lediglich der Umstand, dass Kinder mit katholischem Glauben nicht am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen müssen, wenn dieser nicht angeboten wird (katholisch wie auch kooperativ-konfessionell).

Kinder, die keiner oder zumindest nicht der evangelischen oder katholischen Religionsgemeinschaft angehören, dürfen am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen oder haben das Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht. Kinder, deren Eltern bei der Schulanmeldung eine evangelische oder katholische Religionszugehörigkeit angegeben haben, können nach meiner Rechtsauffassung derzeit nur vom Religionsunterricht abgemeldet werden, wenn gleichzeitig der Austritt aus der entsprechenden Kirche bestätigt wird.

Vom Religionsunterricht abgemeldete Kinder haben in der Grundschule zurzeit nicht die Möglichkeit, am Unterrichtsfach „Werte und Normen“ teilzunehmen. Dies ist erst ab Klasse 5 möglich, wenn mindestens zwölf Kinder dies an einer Schule in Anspruch nehmen wollen. Die Abmeldung erfolgt formlos, evtl. unter Vorlage notwendiger Nachweise (siehe Punkt 2 und 3). Eine sofortige Wirkung wird je nach Grundschule kaum möglich sein, da die Betreuung und Aufsicht gewährleistet werden muss. Daher sollten Sie davon ausgehen, dass die Wirkung der Abmeldung vom Religionsunterricht erst zum nächsten Halbjahr/Schuljahr wirksam wird.

Seit dem Schuljahr 2017/18 gibt es nun eine Erprobungsphase des Landes Niedersachsen, bei der an zehn Grundschulen das Unterrichtsfach „Werte und Normen“ probeweise unterrichtet wird. Diese Entscheidung ist sehr zu begrüßen und mehr als notwendig.

Stolpersteine

Wie oben erwähnt, werden in der Grundschule ca. 9 % der Kinder vom Religionsunterricht abgemeldet, Tendenz steigend. Das sind im Schnitt und je nach Größe und Geografie der Schule ca. 2 Kinder pro Klasse. Was aber machen die Kinder nun während der regulären Religionsstunde?

Im Falle einer Randstunde nach Hause gehen oder später zur Schule kommen?
Nein, alle Schulen in Niedersachsen sind verlässlich, d. h. die Kinder haben einen Anspruch auf Betreuung.

Die Kinder zu dieser Zeit in die Parallelklasse schicken?
Nein, die Kinder sollten nicht deswegen vom Unterricht der eigenen Klasse ausgeschlossen oder abgeschoben werden.

Die Kinder auf dem Flur etwas anderes abarbeiten lassen?
Nein, wieder ein unnötiger Ausschluss aus der Klasse. Hinzu kommt das Problem mit der Aufsichtspflicht.

Die Kinder in der Klasse belassen („… Und bitte weghören? …“) und Ihnen für diese Stunde anderes Material zum Bearbeiten geben?
Na ja, etwas widersinnig …

Alle Religionsstunden in einem Unterrichtsband (alle Stunden des einen Faches zur gleichen Zeit) terminieren – oder zumindest jahrgangsweise – und dann alle abgemeldeten Kinder in eine „alternative“ Stunde schicken?
Und da sind wir wieder beim Fach „Werte und Normen“, und bei den Ressourcen. Wo kommt die Lehrkraft bzw. die Ressource für diese „alternative“ Stunde her? Es ist so (noch) nicht vorgesehen! Hier sind die Schulen, sofern sie es so organisieren können, stets kreativ, müssen jedoch an anderer Stelle einsparen.
Beispiel:
Wenn bei einer 3-zügigen Grundschule die Religionsstunden in einem „Band“ liegen, benötigt man für die vier Jahrgänge auch 4 Stunden/Lehrerstunden und entsprechend auch einen Raum. In den meisten Fällen ist das eher selten möglich. Ein Zusatzbedarf an Lehrerstunden kann hier nicht beantragt werden.

Aktueller Stand

Langfristig soll das Fach Werte und Normen aufsteigend ab dem ersten Schuljahrgang als ordentliches Unterrichtsfach für Kinder, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, eingeführt werden. Schon seit dem Schuljahr 2022/23 können einzelne Lerngruppen im Fach Werte und Normen und im Rahmen einer Übergangsphase in allen Jahrgängen eingerichtet werden.

Meine Meinung:

Die Möglichkeit der Abmeldung vom Religionsunterricht ist die Ausübung eines Grundrechtes. Die negative Religionsfreiheit ist ein wesentlicher Teil davon. Für Grundschulkinder wird dieses Recht von den Erziehungsberechtigten ausgeübt. Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr können die Jugendlichen selbst darüber bestimmen. Da die Zahl derer, die eine Abmeldung vom Religionsunterricht wünschen, immer größer wird, ist die Einführung des Faches Werte und Normen an der Grundschule mehr als überfällig.

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Björn Bauch

Über mich:

Ich bin seit 23 Jahren im niedersächsischen Schuldienst tätig, 13 Jahre davon als Leiter einer 3-zügigen Grundschule. Mein Anliegen ist das Helfen bei schulischen Fragen, das Herstellen von Transparenz sowie – das möglicherweise – Richtigstellen von falschen Annahmen in Bezug auf die Rechtslage.

Schon vor vielen Jahren habe ich diese Webseite sukzessive erstellt, um die immer wieder auftretenden Fragen bei Eltern beantworten zu können.